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Kultur folgt Struktur – Fundamente der Selbstorganisation

Die heutige Zeit bietet Unternehmern grosse Chancen zur Weiterentwicklung. Doch oft stehen starre Hierarchien, langsame Entscheidungswege und fehlende Innovationsfreude diesen Möglichkeiten im Weg. Ein strategisch verankerter Kulturwandel, der Selbstorganisation und Eigenverantwortung fördert, kann hier Abhilfe schaffen. So werden Unternehmen durch einen gezielten Wandel zukunftsfähig und steigern ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Von Thomas Haas

Die heutige Zeit bietet Unternehmern grosse Chancen. Der rasante technologische Fortschritt schafft ungeahnte Möglichkeiten, um als Unternehmen wachsen zu können. Das ungebremste exponentielle Wachstum der Leistungsfähigkeit von Computer-Chips schafft weitere Möglichkeiten zur Digitalisierung.

Mit neuen Funktionen können bestehende Produkte attraktiver gestaltet werden, um Absatz oder Umsatz zu steigern. Mit der Verarbeitung von Daten und intelligenten Funktionen können neue oder erweiterte Geschäftsmodelle realisiert werden.

Jedoch klagen Unternehmer immer wieder, dass sie diese Chancen gerne nutzen würden, doch leider nicht können. Weil trotz übersichtlicher Grösse die Entscheidungswege zu langsam, die Strukturen und Abläufen zu starr sind und weil es an Kundennähe und Innovationsfreude fehlt. Ebenfalls bemängelt werden fehlender Mut zur Lücke, eine negative Fehlerkultur und Unfähigkeit, über Prototypen rasch Produkte und Leistungen zu entwickeln.

Als Ursachen werden oft traditionelle Hierarchien, geringe Eigenverantwortung und inneffiziente Nutzung von Ressourcen festgemacht. Mithilfe von Konzepten aus der Arbeitswelt 4.0 und Methoden der Agilität sollen Wettbewerbsfähigkeit gesichert und gesteigert werden. Reichen Best Practices um für engagiertere Mitarbeitende, mehr Ideenreichtum, mehr Wertschätzung und bessere Ergebnisse?

Wirkung durch Strategiebezug

Von punktuellen operativen Sofortmassnahmen abgesehen braucht es einen zielgerichteten Kulturwandel, um Entscheidungen zu beschleunigen, Ideenreichtum zu fördern, Effektivität, Effizienz und Arbeitsplatzattraktivität zu steigern. Damit der Kulturwandel seine Wirkung erzielt, muss er strategisch verankert sein und ein konkretes, strategisches Problem lösen.

Bewährt hat sich die Formulierung einer strategischen Herausforderung. Eine Herausforderung ist strategisch, wenn sie die langfristigen Ziele des Unternehmens bedroht. Zum Beispiel wenn sich ein Niedergang abzeichnet oder der Fortbestand des Unternehmens gefährdet ist. Obwohl die Herausforderungen meistens als Bedrohung wahrgenommen und formuliert werden, können diese auch Chancen darstellen. TypischeBeispiele sind die Aussicht auf Expansion, Wachstums- oder Gewinnsprünge. Ein häufiger Auslöser dafür ist eine Verlagerung der Interessen der Eigentümer. Eine gut formulierte strategische Herausforderung beantwortet folgende drei Fragen:

  • Treiber: Welcher Veränderung muss sich das Unternehmen stellen?
  • Konsequenz: Was wäre die Folge von Nichtstun? Ist das eine Option?
  • Wirkung: Woran erkennt man, dass die Herausforderung gemeistert ist?

Die Formulierung der strategischen Herausforderung schafft nicht nur Klarheit bei den verantwortlichen Personen, sie ist eine sehr gute Grundlage, um die Organisationsveränderung, den Kulturwandel, zu begründen. Über die Treiber kann der Handlungsbedarf aufgezeigt werden. Mit den nicht akzeptierbaren Konsequenzen wird die Dringlichkeit sichtbar. Die beobachtbare Wirkung gibt eine Perspektive, Halt und dient als Orientierung während des Kulturwandels. Mithilfe der formulierten strategischen Herausforderung können dann die richtigen Ansätze, Methoden und Techniken ausgewählt werden, um Organisation, Führung und die Kultur gezielt zu verändern und die gewünschte Wirkung zu erzielen. Im Folgenden werden drei gängige Ansätze beschrieben.

Selbstorganisation: mehr Verantwortung in der Wertschöpfung

Selbstorganisation in der Wertschöpfung

Starke hierarchische Strukturen führen zu Silodenken und erschweren die Zusammenarbeit über Organisationsgrenzen hinweg. Organisationsgrenzen können sowohl einzelne Teams als auch Abteilungen oder Unternehmensbereiche sein. Um eine Leistung zu erbringen, sind typischerweise viele verschiedene Funktionen in der Organisation involviert: vom Vertrieb über die Erstellung der eigentlichen Leistung, die Auslieferung, Kundenbetreuung bis zur Verrechnung. All diese involvierten Hände bilden gemeinsam eine Wertschöpfungskette im Unternehmen. Abgebildet wird sie oft als Prozess- oder Arbeitsorganisation.

Strategische Herausforderungen wie mehr Kundennähe, Innovation, Effektivität und Effizienz werden über Veränderung in der Wertschöpfung gelöst. Mehr Eigenverantwortung, Selbstorganisation und Autonomie sind bewährte Mittel, um die Wertschöpfungskette zu stärken. Dabei werden Befugnisse aus den hierarchischen Silos in Abteilungs- oder fachübergreifende Teams in der Prozessorganisation übertragen. So können deenreichtum in der Entwicklung oder Verbesserungen an Prozessen von den Fachkräften nahe am Geschehen direkt getroffen werden.

Je höher die Komplexität der Aufgabenstellungen und je höher die Dynamik und Komplexität, desto überlegener sind selbstorganisierte Teams. Eine gute Analogie bieten Teamsportarten wie Fussball, bei welchen sich die Spielerinnen und Spieler auf dem Spielfeld jederzeit selbstständig organisieren und bewegen.

Bewährte und beliebte Methoden sind Human-centered Design oder Design Thinking für Innovationsfähigkeit, iterative Vorgehen wie Scrum oder Concurrent Engineering in der Produktentwicklung, Lean oder Kanban in der Produktion. Auch vorhandene Prozesse der kontinuierlichen Verbesserung (KVP) können mit Selbstorganisation und Eigeninitiative belebt und gestärkt werden.

Struktur in der Aufbauorganisatio

In der Aufbauorganisation sind Verantwortlichkeiten geregelt. In der Analogie des Ballsports ist dies die Festlegung der Spielfelder und Spielregeln. Damit können sich die Spielerinnen und Spieler – die Mitarbeitenden in der Wertschöpfung – organisieren. Dazu muss sichergestellt werden, dass Abläufe und Prozesse geführt und Regeln eingehalten werden. Ohne Schiedsrichter gibt es kein schönes Spiel.

In der Aufbauorganisation werden zudem Mittel verwaltet und bereitgestellt, um die Wertschöpfung leistungsfähig zu machen. Mit diesen klassischen Aufgaben des Managements geht es in der modernen Organisation nicht nur um Budgets und Finanzen, sondern auch um die Motivation, Befähigung und Entwicklung der Mitarbeitenden. Es geht also darum, die richtige Mannschaft für die richtigen Spiele zusammenzustellen, zu trainieren, zu unterstützen. Wie im Mannschaftssport finden diese Aufgaben vor und nach den Spielen statt. Führungskräfte in der Aufbauorganisation, «Manager», greifen nicht direkt in die laufenden Prozesse der Leistungserbringung ein, sondern wirken während der nicht produzierenden Arbeitsstunden. Selbstverständlich kann in besonderen Situationen jederzeit ein Nothalt, ein «Time-out» eingelegt werden.

Die rollenbasierte Organisation, Werkzeuge und Prinzipien soziokratischer Organisationen oder Holacracy haben sich bewährt, um die Aufbauorganisation flexibel zu gestalten. Auch funktionieren rollenbasierte Organisationen bei Aufgaben, welche isoliert von einzelnen oder wenigen Personen ausgeführt werden können.

Führung mit Leadership Purpose

Auch wenn sich Spielerinnen und Spieler auf dem Spielfeld selbstständig bewegen und organisieren, geschieht dies nicht planlos. Zu den weiteren Aufgaben vor und nach dem Spiel gehört auch die Führung über klare Ziele: Tabellenerster? Nicht absteigen? In der Mitte positionieren?

Mit «Leadership» wird diese Form der Führung oft vom klassischen «Management» abgegrenzt. Damit wird eigenständiges Handeln nicht nur ermöglicht und gefördert, sondern über greifbare Ziele ausgerichtet und geführt. Ohne klare Motivation und ohne klare Ziele wird auch das beste selbstorganisierte Team keine guten Ergebnisse erzielen. Bewährt haben sich Methoden der transformationalen Führung. Ergänzend eignet sich das OKR-Framework sehr gut, um Ausrichtung und Autonomie in der Balance zu halten.

Fazit

Wir befinden uns in stetiger Veränderung. Die bewährte Unternehmenskultur muss diese Veränderungen mitgehen. Die Einführung von flachen Hierarchien, Selbstorganisation und Eigenverantwortung stösst oft auf Schwierigkeiten. Unbedachter Einsatz von Best Practices kann Widerstand und Frustration auslösen. Ein strategisch verankerter Kulturwandel ist essenziell, um diese Herausforderungen zu meistern.

Das Zusammenspiel von Ablauf- und Aufbauorganisation

Thomas Haas

Thomas Haas, Unternehmer, Strategieberater, Co-Autor Strategility: agile Strategieentwicklung, zukunftsfähige Strategien und Unternehmen. Gründer der in Baar ansässigen GoBeyond Consulting AG. www.gobeyond.co

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