
In unsicheren Zeiten in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld drängt sich die Frage auf: Wie viel Innovation muss sein? Innovation ist kein Selbstzweck – sie muss dem Unternehmen Erfolg bringen. Dazu muss sie echten Kundenmehrwert schaffen. Der Jobs-to-be-done-Ansatz macht Kundenbedürfnisse messbar und hilft so, den Innovationserfolg strategisch planbar zu machen und Innovation zu fokussieren.
Von Beat Walther und Yann Wermuth
Innovation ist kein Selbstzweck
Wer die «Innovationlabs» – einige wurden wieder geschlossen – verfolgt hat, konnte manchmal meinen, dass Innovation ein Selbstzweck sei. Man betreibt Innovation, weil es gut aussieht und inspirierende Geschichten bietet. Die Frage nach dem Nutzen für das Kerngeschäft wurde abgetan: Man müsse der Innovation Raum für Fehler lassen und Unabhängigkeit vom Kerngeschäft gewähren. So sei das halt mit der Innovation.
Geführt hat diese Haltung in der Innovation leider zu überbordenden Ideensammlungen, tiefen Erfolgsraten und Projekten, die weit vom Kerngeschäft entfernt sind.
Aber: Innovation ist kein Selbstzweck. Innovation ist ein zentraler Hebel, um Wettbewerbsvorteile zu sichern, Kundenbedürfnisse zu antizipieren, langfristig Wert zu schaffen und das Weiterbestehen des Unternehmens zu garantieren. Die Teams aus dem Kerngeschäft bezahlen die Löhne, die Innovationsteams die Renten. Wie Peter Drucker gesagt hat: «Marketing und Innovation bringen Resultate, der Rest sind Kosten.» So sollte es zumindest sein. In der Realität sieht es, wie gesagt, oft anders aus.
Heute stellt sich für Verwaltungsräte die Frage: Wie viel Innovation braucht es überhaupt?
Innovation braucht eine klare Vision
Der Verwaltungsrat ist heute in der Innovation mehr denn je gefragt. Selbst wenn Innovationslabore verschwinden: Produktportfolios müssen weiterentwickelt werden. Innovation wechselt die Abteilung – sie bleibt aber zentral für den Unternehmenserfolg.
Um das Überbordende in der Innovation zu bändigen, braucht es eine klare Vision. Hier ist der Verwaltungsrat ganz besonders in der Pflicht. Eine klare Vision begrenzt den Möglichkeitsraum und schafft klare Leitlinien. Eine zu offene Vision lässt die Projekte und Ideen wieder ausfransen.
Was so einfach klingt, ist eine grosse Herausforderung. Wo soll man überhaupt anfangen? Wir glauben: Die Kundensicht kann hier viel bewirken. Mit dem Jobs-tobe-done-Ansatz erhalten Entscheider eine faktenbasierte Grundlage zu den Kundenbedürfnissen. Diese Grundlage ermöglicht es, eine Vision zu formulieren, die zum unverrückbaren Nordstern für das Unternehmen wird. Denn: Menschliche Bedürfnisse sind sehr stabil – Technologien und Produkte ändern sich ständig. Deshalb muss man als Erstes in die unverzerrte Kundensicht wechseln.
Aus Kundensicht denken: Jobs-to-be-done
Der Wechsel in die Kundensicht ist herausfordernd. Im Unternehmen wird oft nur im Rahmen der eigenen Produkte und Marktsegmente gedacht. Ein Praxisbeispiel: Ein Hersteller von Pfannen und Töpfen denkt an die nächste Generation der Töpfe, nicht aber an Ideen für das Kochen oder das Aufräumen danach. Die Innensicht ist eben nicht unbedingt die Kundensicht. Kunden sind nicht an interne Zwänge, Vorgaben oder Business-Modelle gebunden.
Wie gehen Kunden vor, wenn sie Lösungen suchen? Die bisher beste Antwort ist aus unserer Sicht die Jobs-to-be-doneTheorie von Clayton Christensen (Harvard-Professor). Jobs-to-be-done sagt: Menschen und Unternehmen holen sich Produkte, um ein Ziel oder einen Zweck zu erreichen (engl. einen Job). Je besser ein Produkt dabei hilft, das Ziel (den Job) zu erreichen, desto wahrscheinlicher sind die Nutzung und der Markterfolg. Wichtig hierbei: Das Ziel oder der Zweck, den der Kunde verfolgt, geht oft über das Produkt, ja sogar Industriegrenzen hinaus. So ist es z.B. ein Zweck von Menschen, «sich abends zu entspannen». Die Lösungen dafür sind vielfältig: Netflix, ein Glas Wein, Sport, ein Bad etc. Die Konkurrenz von Netflix beschränkt sich aus Kundensicht nicht bloss auf andere Streamingdienste. Alle anderen Lösungen, die abends Entspannung bieten, sind aus Kundensicht mögliche Lösungen für den Job.
Die Jobs-to-be-done-Theorie hat dramatische Konsequenzen für die Innovation. Statt aus der Technologie und dem Produkt heraus zu denken, muss eine andere Frage gestellt werden: Wie können wir dem Kunden helfen, seinen Jobto-be-done besser zu erreichen? Jobsto-be-done verschiebt die Perspektive in die Kundensicht und befreit von festgefahrenen Denkmustern.
Kundenbedürfnisse messen mit dem CFI-Prozess
Aus der Jobs-to-be-done-Sicht ist der Raum für Innovation sehr breit. Das aber wollen wir ja verhindern. Deshalb haben wir von Vendbridge einen Prozess entwickelt, um die unerfüllten Bedürfnisse von Kunden zu messen, wenn sie einen Jobto-be-done erledigen wollen. So bleibt man in der Kundensicht, aber weiss treffsicher, wo wirkliche Chancen liegen. Das engt Innovation aus Kundensicht ein und kann als Hebel genutzt werden, um die Organisation auf drei bis fünf klare Chancen auszurichten. Wir nennen den Prozess CFI-Prozess, was für CustomerFocused Innovation steht.
Wir stellen hier verkürzt dar, wie diese Kundenbedürfnisse gemessen werden. In der Regel bleiben die Ergebnisse sehr stabil, d.h. sind fünf Jahre oder länger nutzbar. Wir haben Kunden, die über zehn Jahre mit unseren Ergebnissen arbeiten. Menschen und ihre Bedürfnisse sind erstaunlich stabil im Vergleich zum technologischen Wandel.
Ein wichtiges Ergebnis von CFI ist die Kunden-Mehrwert-Matrix (siehe Abbildung 1 auf der nächsten Seite).
Sie zeigt das Resultat einer quantitativen Befragung, bei der Kunden befragt wurden, wie wichtig ihnen ein aus der Job-to-be-done-Sicht formuliertes Bedürfnis ist. Und wie gut bestehende Lösungen dieses Bedürfnis heute erfüllen. Für den Job-to-be-done «sich abends zu entspannen» könnte so ein Bedürfnis z.B. sein: «dass sich in möglichst kurzer Zeit ein Gefühl der Ruhe einstellt» oder «dass die Entspannung möglichst lange anhält» und viele andere mehr. In der Regel decken wir 50–100 solcher Bedürfnisse auf. CFI legt grossen Wert darauf, menschliche Bedürfnisse so messbar wie möglich zu formulieren. Darum enthalten Bedürfnisse nach CFI immer eine Einheit (z.B. Zeit). Das macht später messbar, ob eine neue Lösung auch wirklich das Bedürfnis löst: Wird die Dauer merklich verkürzt (oder verlängert)?
Wir gewinnen diese Bedürfnisse typischerweise aus Tiefeninterviews und Fokusgruppen mit Kunden, aus dem bestehenden Wissen eines Unternehmens und ergänzen bei schwer zu erreichenden Zielgruppen mit Wissen aus unserer Job-Metrik KI.
Das Nützliche an der Kunden-MehrwertMatrix ist, dass glasklar wird, welche Bedürfnisse noch nicht adressiert sind: Pain Points. Das sind die Bedürfnisse, auf die sich Innovation ausrichten muss. Nur Innovationen, die ein unerfülltes, relevantes Kundenbedürfnis lösen, sind es wert, weiterverfolgt zu werden. Das erlaubt es, Innovation aus Kundensicht und auf der Grundlage von quantitativen, harten Daten einzugrenzen und die Chance auf Erfolg massiv zu erhöhen. Mit CFI kann Innovation auf messbare Füsse gestellt werden.
Mit diesem Ergebnis kann auch die Eingangsfrage beantwortet werden: Wie viel Innovation ist nötig? So viel wie es braucht, um die unerfüllten Bedürfnisse (die für die eigene Strategie relevant sind) innerhalb sinnvoller Aufwände zu lösen. Alle anderen Ideen werden konsequent nicht weiterverfolgt.
Abbildung 1: Kunden-Mehrwert-Matrix
Handlungsempfehlungen für Verwaltungsräte
Wir empfehlen Verwaltungsräten deshalb:
- Innovation an Kundenbedürfnissen ausrichten: Wechseln Sie von einer produkt- oder technologiezentrierten Sicht zur Jobs-to-be-done-Sicht. Entschiedener Fokus auf unerfüllte, messbare Kundenbedürfnisse maximiert den Erfolg.
- Klare, kundenfokussierte Innovationsvision definieren: Entwickeln Sie eine konsistente Vision, die den strategischen Rahmen für Innovation vorgibt. Vermeiden Sie unklare Vorgaben, die zu ineffizienten Projekten führen.
- Messbare Entscheidungsgrundlagen schaffen: Nutzen Sie datenbasierte Tools wie die Kunden-MehrwertMatrix, um Innovationen gezielt auf echte Pain Points und strategisch relevante Chancen auszurichten.
- Ressourcen auf strategische Pain Points fokussieren: Priorisieren Sie drei bis fünf klare Innovationsfelder, die sich an unerfüllten Kundenbedürfnissen und der Unternehmensstrategie orientieren, um Streuverluste zu vermeiden.
Beat Walther
Beat Walther ist Gründer und Managing Director der Vendbridge AG, Zürich, einer Spezalistenberatung für Kunden-Insights und Wachstumsbeschleunigung. Er berät seit mehr als 20 Jahren Geschäftsleitungen von Unternehmen in Strategie, Produktentwicklung, Marketing und Sales. Zudem ist er langjähriger Verwaltungsrat von Wachstumsunternehmen. Zuvor war er bei Procter & Gamble und McKinsey beschäftigt und hat einen Master in BWL der Universität St. Gallen. www.vendbridge.com
Yann Wermuth
Yann Wermuth ist Partner bei der Vendbridge AG und neben der Klientenbetreuung hauptverantwortlich für Methodenentwicklung, um Kundenbedürfnisse zu messen und Wachstum zu beschleunigen. Zudem ist er treibende Kraft bei The Product Quest Podcast, ein führender Podcast mit inspirierenden Inhalten zu Innovation und Wachstum. Er hält einen Doktortitel der Philosophie der Universität Zürich. www.vendbridge.com
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