
In einer zunehmend digitalisierten Welt hat sich die Art und Weise, wie Unternehmen Talente rekrutieren, massgeblich verändert. Die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt zwingt viele Unternehmen dazu, andere Massnahmen in der Rekrutierung zu ergreifen, denn die Babyboomergeneration geht in Rente, während geburtenschwache Jahrgänge in den Arbeitsmarkt eintreten. Das spürbare Ergebnis in vielen Branchen? Eine geringere Anzahl an qualifizierten Fachkräften, die stark umworben sind. Daraus entsteht eine sehr viel andere Ausgangslage, als dies die meisten Unternehmer*innen bisher kannten. Trotzdem halten unzählige Unternehmen an alten, unattraktiven Rekrutierungsprozessen fest und erklären dann, schuld sei halt der Fachkräftemangel. Wie sollte man diesem Wandel im HR begegnen, und wo gibt es Stellschrauben, um auch mit der neuen Situation am Arbeitsmarkt zurechtzukommen?
Von Delia Herger
Employer Branding – mehr als ein Trend
Employer Branding hat sich zu einem entscheidenden Faktor im Kampf um Talente entwickelt. Es vermittelt Werte, Kultur und Vision des Unternehmens und schafft so ein authentisches Bild, das potenzielle Bewerbende anspricht. Doch für KMU stellt der Aufbau einer starken Arbeitgebermarke eine besondere Herausforderung dar, da oft keine spezialisierten Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Wichtig ist für KMU, in einem ersten Schritt eine solide Grundlage zu schaffen und zuerst die eigenen Stärken und Benefits zu schärfen (z.B. mit einer internen Umfrage der Mitarbeitenden), um diese dann auf eine authentische Art auf der eigenen Webseite und auf weiteren Kanälen zu kommunizieren. Nur wer Personalmarketing als strategisches Instrument einsetzt, kann sich in diesem umkämpften Markt durchsetzen und sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren.
Die Candidate Experience als klarer Wettbewerbsfaktor
Der bisherige, völlig veraltete Bewerbungsprozess ist geprägt von aufwendigen Formularen, langen Wartezeiten und unpersönlichen, automatisierten Benachrichtigungen per Mail. Diese Hürden führen dazu, dass viele Kandidat*innen den Prozess abbrechen – vor allem, wenn sie wie der Grossteil der Talente nicht aktiv auf Jobsuche, sondern durchaus wechselbereit, aber passivsuchend sind. Beim intensiven Wettbewerb um Talente hat die sogenannte Candidate Experience im Bewerbungsprozess deshalb einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg des Rekrutierens. Sie umfasst die Gesamtheit der Erfahrungen, die Bewerbende während des gesamten Bewerbungsprozesses mit einem potenziellen Arbeitgeber machen.
Eine positive Candidate Experience kann den Unterschied machen, ob ein Talent sich für oder gegen ein Unternehmen entscheidet. Gleichzeitig beeinflusst sie das Employer Branding massgeblich und trägt dazu bei, wie ein Unternehmen auf dem Markt wahrgenommen wird. Aus diesem Grund sind gerade viele Unternehmen dabei, ihre Candidate Experience zu optimieren.
Die Rolle moderner Technologien
Um sich im Wettbewerb um die besten Talente abzuheben, setzen immer mehr Unternehmen neue Wege. Laut der Deloitte Global Human Capital Trends Studie von 2020 nutzen 71% der Unternehmen spezifische Tools, um die Candidate Experience zu verbessern. Tools wie videobasierte Stellenanzeigen ermöglichen es, den Bewerbungsprozess persönlicher und interaktiver zu gestalten. Sie bieten Bewerbern einen authentischen Einblick in das Unternehmen und die offene Position.
Darüber hinaus helfen moderne Recruiting-Softwarelösungen dabei, den Bewerbungsprozess effizienter zu gestalten. KI-gestützte Funktionen in der Kommunikation mit Bewerbenden können den Recruitern schnelle Rückmeldungen ermöglichen und den Prozess beschleunigen. Eine Studie von IBM aus dem Jahr 2017 zeigt, dass bereits damals schon 74% der Bewerber eine zeitnahe und persönliche Kommunikation während des Bewerbungsprozesses erwarteten. Diese Zahl dürfte heute durch die Digitalisierung und heutigen Kommunikationsformen nochmals um einiges höher ausfallen.
Wirtschaftliche Auswirkungen – Was bedeutet das für die Geschäftsleitung?
Die Candidate Experience hat nicht nur Auswirkungen auf das Recruiting, sondern auch auf die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens. Laut einer Studie des Talent Board aus dem Jahr 2019 führt eine negative Erfahrung sogar häufig dazu, dass Personen abgeneigt sind, Produkte oder die Dienstleistungen des Unternehmens zu beziehen und teilen die Erfahrungen im Umfeld, was zu Umsatzeinbussen führt. Vielen ist deshalb gar nicht bewusst, welche Relevanz das HR in dieser Rolle auch für den gesamten Unternehmenserfolg spielt. Die Geschäftsleitung kann hier wie folgt strategisch unterstützend wirken:
- Ressourcen oder Unterstützung im Employer Branding bereitstellen
- moderne Technologien zur Prozessoptimierung im HR fördern und integrieren
- eine Kommunikation auf Augenhöhe vorantreiben und veränderte Bedürfnisse akzeptieren
Das Unternehmen Cablex konnte innert vier Monaten 16 Elektriker*innen durch die Verwendung attraktiver Jobvideos erfolgreich über Social-Media-Kanäle rekrutieren. Zuvor lagen die Einstellungen für einen solchen Zeitraum jeweils im niedrigen einstelligen Bereich. Die Verwendung von Social Media Boosts haben dazu geführt, dass sich die Reichweite der Stellenanzeigen von Cablex um das Fünffache gesteigert hat. Eine positive Überraschung war zudem, dass die neu eingestellten Mitarbeitenden von sich aus ihr Netzwerk aktiviert und durch das Teilen der Videos neue potenzielle Mitarbeitende vermittelt haben.
Gemeinsam mit dem HR-Tech Start-Up konnte Cablex neue Wege beschreiten. Mit videobasierten Stellenanzeigen bietet das Unternehmen aus Luzern den Bewerbenden authentische Einblicke in den Arbeitsplatz und die Unternehmenskultur. Wobei die Rekrutierungssoftware zentral ist. Diese ermöglicht es den Unternehmen, mit einem Knopfdruck die Stellenvideos auf verschiedensten Plattformen wie Instagram, LinkedIn oder diversen Jobplattformen via Multiposting zu streuen, um so aktiv- wie auch passivsuchende (wechselbereite) Personen anzusprechen.
Eine integrierte Chatfunktion ermöglichte dann den HR-Mitarbeitenden von Cablex eine rasche und unkomplizierte Kontaktaufnahme mit den Bewerbenden und ermöglichte es, als Arbeitgeberin einen ersten persönlichen und gewinnenden Eindruck zu hinterlassen. Das bestehende Bewerbermanagement-Tool bei Cablex wurde mittels einer simplen Schnittstelle nahtlos mit dem System von Jobeagle verbunden und so in den unternehmensspezifischen Prozess von Cablex integriert.
Die videobasierten Stelleninserate können auch als attraktive Karriereseite auf der eigenen Webseite eingebunden werden. Ein sehr gelungenes Beispiel dafür ist die Karriereseite der Familie Wiesner Gastronomie: www.fwg.ch/de/jobs. Das innovative Gastronomieunternehmen hat sich entschieden, ausschliesslich mit Jobeagle zu rekrutieren. So sorgt der Familienbetrieb mit einer neuen, attraktiven Candidate Experience von Anfang bis zum Schluss für Begeisterung bei den Bewerbenden.
Best Practices für eine herausragende Candidate Experience
Transparenz und Kommunikation
Klare Informationen über den Bewerbungsprozess und regelmässige Updates erhöhen das Vertrauen der Bewerbenden. Unternehmen sollten sicherstellen, dass Bewerbende wissen, was sie erwarten können und wann sie Rückmeldungen erhalten.
Personalisierung
Individuelle Ansprache und massgeschneiderte Inhalte zeigen Wertschätzung. Die Verwendung von Candidate Personas kann helfen, die Bedürfnisse und Erwartungen der Zielgruppe besser zu verstehen und gezielt darauf einzugehen. Auch spezifische Tools können hier eine grosse Hilfe sein, um trotz Personalisierung die Effizienz nicht zu verlieren.
Feedbackkultur
Unabhängig vom Ausgang des Bewerbungsprozesses sollten Bewerbende konstruktives Feedback erhalten. Dies hinterlässt einen positiven Eindruck und kann zu zukünftigen Bewerbungen oder Empfehlungen führen. Gleichzeitig sollte auch nach Feedback von Bewerbenden gefragt werden, um den eigenen Bewerbungsprozess zu verbessern.
Candidate Centricity
Bewerbende in den Mittelpunkt aller Recruiting-Aktivitäten stellen. Unternehmen, die dieses Prinzip verfolgen, gestalten den Bewerbungsprozess aus der Perspektive der Bewerbenden. Sie berücksichtigen ihre Bedürfnisse und Erwartungen. Dies führt zu einer höheren Zufriedenheit und erhöht die Chance, Toptalente zu gewinnen.
Haben Sie sich bereits einmal bei Ihrer eigenen Firma beworben?
Suchen Sie einmal mit dem Smartphone bei Google nach einer ausgeschriebenen Stelle von Ihrem Unternehmen und bewerben Sie sich mit dem Smartphone. Achten Sie hierbei auf die oben erwähnten Aspekte, und Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit merken, wie viele Hürden und Optimierungen in diesem Prozess noch vorhanden sind, ohne dass gleich alles auf den Fachkräftemangel geschoben werden muss.
Fazit
Der Wandel im HR-Bereich erfordert ein Umdenken. Unternehmen, die auf eine starke Employer Brand und eine positive Candidate Experience setzen, sichern sich nicht nur qualifizierte Mitarbeitende, sondern stärken auch ihre Marktposition. Die Geschäftsleitung spielt dabei eine zentrale Rolle, indem sie die strategischen Weichen für eine zukunftsorientierte Personalpolitik stellt.
Delia Herger
Delia Herger ist Co-Founder von Jobeagle, einem Zentralschweizer HR-Tech Start-up. Das Unternehmen setzt neue Messstäbe im Rekrutierungsprozess und macht diesen innovativer, transparenter und einfacher für alle Parteien. www.jobeagle.io
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